Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

 

Evangelische Jugendarbeit zwischen Luther und Jesaja, zwischen Erwerbsarbeit und Careökonomie

Predigt am Reformationstag 2013 zur Einführung eines Jugendleiters


Liebe Gemeinde,

heute führen wir Christopher Milch in sein Amt ein. Jugendarbeit, Deine »Arbeit«, ist Teil des umfassenden Verkündigungs- und Bildungsauftrags unserer Kirche. Was bedeutet das eigentlich? Anders gefragt: Warum wollen wir eigentlich mit Kindern und Jugendlichen »arbeiten«?

Die erste Antwort lautet sicher: Kindern und Jugendlichen Bibel und Kirche nahebringen. Richtig. Aber: Das Ziel kann dennoch nicht darin bestehen, einfach nur möglichst viele biblische Geschichten Kinder und Jugendliche zu erzählen. Wir fragen uns doch: Warum will ich mit jungen Menschen über Noah und das Paradies sprechen, warum über Jesus, seine Worte und Taten?

Diese Frage führt gleich zur nächsten: Was für ein Bild vom Menschen, von Mann und Frau und der Welt hat die Bibel? Und wie stellt sich das dar im Rahmen unserer protestantischen Tradition? Und welche Ziele für Jugendarbeit leite ich daraus ab?

Zugespitzt möchte ich sagen: Das christliche Menschenbild aus evangelischer Sicht hat zwei Pole: Schönes finden und fördern, Ungerechtes erkennen und benennen.

Schönes finden und fördern

»Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält.« (Kleiner Katechismus, Zweites Hauptstück, Erster Artikel)

So formuliert Martin Luther im Kleinen Katechismus. Jede und jeder von uns ist von Gott begabt und beschenkt. Jede und jeder kann etwas, und jeder und jede will etwas tun. Wir Menschen wollen arbeiten, tätig sein. Niemand von uns hat Spaß daran immer nur auf dem Sofa zu sitzen. Das hast Du schon gemerkt, als sich erfreulich schnell eine ganze Reihe junger Menschen gefunden haben, die mit Dir zusammen etwas tun wollen.

Evangelische Jugendarbeit kann hier fördern, dass die Einzigartigkeit von jungen Menschen entfaltet werden kann. Das fängt an mit dem Staunen. Staunen kann in der Auseinandersetzung mit biblischen Geschichten beginnen. Im gemeinsamen Gespräch. In der engen Beziehung zwischen Ehrenamtlichen und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Kindergottesdienst, Projekten, Freizeiten oder was auch immer. Diese Beziehung ist eine Stärke in der Jugendarbeit. Und hier ist der Übergang zwischen Teilnahme und Engagement oft fließend. Viele rutschen mehr in die Mit-Arbeit hinein als dass sie sich eines Tages bewusst entscheiden. Ging mir auch nicht anders, ohne diese Weg wäre ich nicht Pfarrer geworden. Das ist das Schöne an der Jugendarbeit, daran mitwirken zu können, dass junge Menschen leuchten, zu strahlen beginnen.

Aber: Bei aller Freude über die Schönheit, es gibt auch unendlich viel Hässliches auf unserer Welt. Der zweite Pol evangelischer Jugendarbeit heißt daher für mich:

Ungerechtes erkennen und bekämpfen

»Du sollst nicht töten.
Was ist das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unserm Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und beistehen in allen Nöten.«
(Kleiner Katechismus, Erstes Hauptstück, Fünftes Gebot)

Das wird in diesem zweiten Gedanken Martin Luthers aus dem Katechismus indirekt angesprochen: Gäbe es kein Leid, keinen Schaden, keine Nöte, dann wäre dieses Gebot überflüssig.

Es gibt wahrlich viel Ungerechtes in unserer Welt. Niemand kann sie alle bearbeiten, das überfordert uns als Einzelne und als Gemeinde. Aber das zu erkennen und zu benennen, dass Ungerechtigkeiten in dieser Welt allgegenwärtig sind, das geht und ist Teil Deines Auftrags.

Zum Beispiel: Erkennen und benennen, dass Begabungen bei Menschen oft verschüttet sind. Auch schon im Kindes – und Jugendalter. Weil vielleicht schon früh die Karriere, die guten Noten im Vordergrund stehen.

Oder erkennen und benennen, das Jungs und Mädchen die Welt unterschiedlich wahrnehmen und bis heute von uralten Mustern geprägt sind. Es gab letztens wieder so eine Umfrage, in der das glasklar zum Ausdruck kam: junge Männer sind nach wie vor der Meinung, Frauen können Hausarbeit besser. Und diese Prägungen bekommen wir schon in unseren Kindertagen.

Oder erkennen und benennen, dass jedes Ich seine Grenze beim nächsten Du hat. Und diese Grenze von uns allen immer wieder missachtet wird und wir sowohl Täter_innen und Opfer sind. Das beginnt im Sandkasten und endet beim Erben, Kinder und Jugendliche sind oftmals dazwischen, manchmal buchstäblich.

Oder erkennen und benennen: Wir neigen dazu, dem Geld eine Allmacht zuzusprechen. Das ist ein uraltes Thema, schon Jesus sprach davon, dass man nicht zwei Herren dienen kann, Gott und dem Reichtum. Natürlich brauchen wir alle Geld in dieser Welt. Gar keine Frage. Und es gehört zum Menschsein dazu, essen und zu trinken zu können, ein Dach über dem Kopf, Freunde und sinnvolle Aufgaben zu haben, ob ich nun Geld habe oder nicht. Das sprach schon Jesaja an (55,1 BigS):

»Auf ihr Durstigen, kommt zum alle zum Wasser, ihr, die ihr kein Geld habt. Kauft ohne Geld und ohne Preis Wein und Milch.«

Wenn das alles so ideal wäre, bräuchte es diese Worte Jesajas nicht. Ist es aber nicht. Wir messen dem Geld eine Übermacht zu. Und deswegen zählt leider in unserer Zeit die Welt der Erwerbsarbeit immer noch viel mehr als die Welt der Careökonomie.

Careökonomie, das ist ein noch vergleichsweise »junges« Wort. Was damit gemeint ist, ist dagegen überhaupt nicht neu: Gemeint sind alle möglichen Arbeiten, Tätigkeiten aus dem Bereich von Hausarbeit, Familienarbeit, Pflegearbeit, und auch ehrenamtlicher Arbeit. Alles normalerweise Tätigkeiten, die nicht bezahlt werden. Tätigkeiten, die Menschen für andere tun. Meistens unbezahlt. Gut, es gibt auch Pflegedienste, Essen auf Rädern, Reinigungshilfen, Kinderbetreuung usw. Aber in der Regeln kochen, pflegen, erziehen wir ohne finanzielle Entlohnung. Unglaublich viel geschieht da Tag für Tag. Würden diese Arbeit ins Bruttosozialprodukt eingerechnet, würde es sich glatt verdoppeln. Aber im Bruttosozialprodukt stehen nur die bezahlten Tätigkeiten. Und da das Geld so wichtig ist, gilt Erwerbsarbeit heute so viel mehr als Careökonomie. Die aber genauso wichtig und unverzichtbar ist. Sie aufzuwerten, sie zu erkennen und das Ungleichgewicht zu benennen ist auch Aufgabe der Jugendarbeit.

Auch deshalb, weil Jugendarbeit ohne Ehrenamtliche überhaupt nicht vorstellbar ist. Ehrenamt heißt unbezahlte Tätigkeiten für andere ausüben und so ist das Ehrenamt Teil der Careökonomie. Wir könnten es beim Begriff des Ehrenamtes belassen. Ich finde aber den Begriff der Careökonomie ganz spannend, weil er den Gedanken des Sich-um-andere-kümmern mit aufnimmt und zum anderen all diese ehrenamtlichen Tätigkeiten als Ökonomie, als Teil der Wirtschaft bezeichnet. Es rückt die Welten näher zusammen, die Erwerbsarbeitswelt und die Welt der ehrenamtlichen Tätigkeiten.

Evangelische Jugendarbeit geschieht weitgehend im Vorfeld oder im Übergang von jungen Menschen in die weite Welt der Erwerbsarbeit. So habt Ihr hier die Möglichkeit, das bereits näher kennenzulernen: Mich freiwillig und unbezahlt auf andere einzulassen, für andere etwas zu tun. Ich erlebe es immer wieder, dass Menschen mir später erzählen, wie bedeutsam und wichtig solch ein ehrenamtliches Engagement in der Kirchengemeinde für sie war. Und so gehört die Suche nach neuen Worten, das Einüben veränderter Haltungen, das Wahrnehmen von Schönem und Schauerlichen zur wunderbaren Herausforderung Jugendarbeit.

Und Du stellst dich dieser Herausforderung.

Viel? Ja.

Hoher Anspruch? Ja.

Aber: Darunter solltest du es nicht machen wollen.

Und: Das Ergebnis, den Erfolg hast du nicht in der Hand. Du kannst nichts erzwingen, Gottes Geist ist da reichlich unabhängig von uns.

Und: Allein bist du auch nicht.

Und vor allem: Du darfst dich auf einen Schatz beziehen, der viel mehr wert ist als jeder Haufen Gold: den Schatz des Glaubens. Noch mal Martin Luther:

»Dein Reich komme.
Was ist das?

Gottes Reich kommt auch ohne unser Gebet von selbst, aber wir bitten in diesem Gebet, daß es auch zu uns komme.

Wie geschieht das?

Wenn der himmlische Vater uns seinen Heiligen Geist gibt, daß wir seinem heiligen Wort durch seine Gnade glauben und danach leben, hier zeitlich und dort ewiglich.«
(Kleiner Katechismus, Drittes Hauptstück, Zweite Bitte)

Oder in den wunderbaren Worten Jesajas (55,11 BigS):

»Das Wort, das aus meinem Mund hervorkommt, wird nicht ohne Erfolg zu mir zurückkehren, sondern tun, was ich will, und ihm wird gelingen, wozu ich es gesandt habe.«

Amen.